Deutscher Evangelischer Verband
für Altenarbeit und Pflege e.V.

Bericht DEVAP-Veranstaltung mit Thomas Kalwitzki am 16.03.2022 zur Personalbemessung

Der zweite DEVAP-Personaldialog mit Thomas Kalwitzki, Universität Bremen, zum Thema Personalbemessung nach § 113c SGB XI fand am 16.03.2022 statt. Fokus waren die Regionen Hessen und Rheinland-Pfalz. Über 80 Teilnehmer sind der digitalen Veranstaltung gefolgt.

Dem Vortrag von Thomas Kalwitzki, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Abteilung Gesundheit, Pflege und Alterssicherung im SOCIUM Forschungszentrum der Universität Bremen, und der anschließenden Podiumsdiskussion sind insgesamt 84 Teilnehmer gefolgt. Anna Leonhardi, Geschäftsführerin des DEVAP, moderierte die Veranstaltung.

Im Impuls benannte Thomas Kalwitzki vier Nachhaltigkeitsprobleme in den Bereichen Demographie, Qualität, Personal und Finanzierung, bei denen Reformbedarf besteht. Eine der größten sozialen Herausforderungen der 2020er Jahre ist es, genug Pflegekräfte für eine qualitativ hochwertige Pflege zu gewinnen. Die Lösung ist die nachhaltige Steigerung der Attraktivität des Pflegeberufs z.B. durch die vollständige Einführung des Personalbemessungsverfahrens. Dadurch würden gesündere Arbeitsbedingungen entstehen, der Arbeitsethos gesteigert und die Qualität der pflegerischen Versorgung weiter erhöht werden.

Im Folgenden führte Kalwitzki aus, wie das Personalbemessungsverfahren von der Universität Bremen entwickelt und inwieweit die Erkenntnisse bisher gesetzlich umgesetzt wurden. Das Personalbemessungsverfahren zeigt einen erheblichen Pflegekraftmehrbedarf, ganz überwiegend im Bereich von Assistenzkräften (69 % Mehrbedarf).

Die aktuelle einheitliche Fachkraftquote von 50 % wird mit dem Personalbemessungsverfahren künftig durch heimindividuelle bedarfsgerechte Qualifikationsstrukturen abgelöst.

Insgesamt 115.000 Vollzeitstellen sind zusätzlich erforderlich: Durch das GPVG wurden von 14 fehlenden Personalstellen bei einer durchschnittlichen 100-Bewohner-Einrichtung drei zusätzliche Stellen geschaffen; durch das GVWG nochmal drei Personalstellen und über die Besetzung der fehlenden acht Stellen wird erst im Jahr 2025 entschieden. Zwischen 2022 und 2025 wird hierfür eine Prüfung der letzten Stufe erfolgen.

Hierzu wird es Pilotprojekte zur modellhaften Einführung geben; das Vergabeverfahren läuft derzeit. Im Sommer 2022 werden diese Pilotprojekte starten. Die Einrichtungen können sich direkt an Kalwitzi wenden (Mail: thomas.kalwitzki[at]uni-bremen.de), wenn sie Interesse an einer Mitarbeit haben. Aktuell wird eine Interessentenliste von der Universität Bremen erstellt. Im Mai/Juni wird der Zuschlag vergeben; danach starten die Projekte.

Zur Wirkung der „kleinen“ Pflegereform 2021 führt Kalwitzki aus, dass die Regelungen des § 43c SGB XI nicht geeignet sind, um die Steigerungen der Eigenanteile langfristig abzufedern. Es erfolgt lediglich eine kurzfristige Reduzierung. Bereits im 3. Quartal 2023 wird die Entlastung durch die Preissteigerungen für mehr Personal und bessere Löhne aufgezehrt sein. Entsprechend sind zwingend weitere Maßnahmen zur finanziellen Entlastung der Pflegebedürftigen erforderlich, wie die absolute Begrenzung der Eigenanteile und ihrer Zahlungsdauer. Im Koalitionsvertrag ist dies zumindest angelegt.

Die Träger können jedoch bereits heute mit einer Analyse der Arbeitsabläufe in den Einrichtungen beginnen, um das Personal kompetenzgerechter einzusetzen. Ein zweiter Schritt ist eine individuelle Kompetenzanalyse als Grundlage für die Weiterentwicklung der Abläufe. Stabile Bezugspflegekonzepte sollten entwickelt werden, in denen die Assistenzpersonen stärker eigenverantwortlich eingebunden werden.

Auf politischer Ebene muss die Ausbildung weiter unterstützt / beworben und der Personalmehrbedarf refinanziert werden; hierfür sollten sich die Verbände auch künftig einsetzen.

Im Fazit wirbt Kalwitzki für eine aktive Beteiligung der Träger bei der Umsetzung des Personalbemessungsverfahrens und führt aus, dass dies ein (erster) Schritt zur nachhaltigen Entwicklung der Pflege ist. Die Rekrutierung und der refinanzierte Einsatz von Mehrpersonal ist (noch) keine Verpflichtungen, sondern eine Möglichkeit. Diese können die Einrichtungen nutzen, um attraktive Arbeitgeber zu werden und eine transparente, verlässliche und effiziente Arbeitsorganisation einzurichten.

Den Abschlussbericht nebst Anlagen hier.

Im Anschluss an den Vortrag wurde gemeinsam mit den Teilnehmenden darüber diskutiert, was die Träger bereits heute aktiv für das Gelingen tun können und welche Perspektiven und Implikationen es für die Umsetzung gibt. Hannelore Rexroth, Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Ev. Altenhilfe & Pflege in der Diakonie Hessen, und Pfarrer Albrecht Bähr, Vorstandsvorsitzender Diakonisches Werk Pfalz, waren neben Thomas Kalwitzki Gäste auf dem digitalen Podium.

Kalwitzki führt in der Podiumsdiskussion aus, dass die Versorgungsverträge sich auch zum 01.07.2023 nicht ändern werden (Untergrenze); die Personalschlüssel im GVWG werden optionale Schlüssel sein und eine Obergrenze darstellen, bis zu welcher Personal refinanziert wird. Was im Landesordnungsrecht ab 01.07.2023 passieren wird, ist noch nicht bekannt; hier wird voraussichtlich die Quote entfallen und dafür individuelle Personalmengen festgeschrieben werden. Hierzu laufen aktuell Gespräche mit den Ländern.

Pfarrer Bähr berichtet aus Rheinland-Pfalz, dass es bereits jetzt einen massiven Personalmangel gibt und es einer großen Kraftanstrengung aller Beteiligter bedarf, um hier die Personalaufstockung durch das Bemessungsverfahren auch tatschlich umsetzen zu können. Fr. Rexroth ergänzt, dass zudem schnell Lösungen für die Finanzierung gefunden werden müssen, um die Pflegebedürftigen nicht noch weiter zu überfordern. Außerdem sind Ausbildungsmöglichkeiten für Pflegehelfern (1-Jährige) zu verbessern und zeitnah durch die Landesregierung in Hessen und das RP-Darmstadt ein anerkanntes Ausbildungscurriculum für Pflegeassistent:innen (2-Jährige) neu zu etablieren, so Rexroth, um den Mehrbedarf an Mitarbeiter:innen in der Pflege qualifiziert zu begegnen.

Kalwitzki stellt in der Diskussion klar, dass das, was im Personalbemessungsverfahren ausgewiesen wird, keine übergeordneten Stellen beinhaltet, wie z.B. die PDL, Sozialdienst, Betreuungspersonal, PalliativCare-Beauftragte, Qualitätsmanagementbeauftragte. Die zusätzlichen Spahn-Stellen gehen jedoch im Personalschlüssel auf und werden eingerechnet. 

Frau Leonhardiführt aus, dass aus Sicht des DEVAP ein entscheidender Punkt ist, wie verbindlich die Pflege weiterentwickelt wird. Hier muss die Politik angemahnt, die Kommunen stärker eingebunden werden und sich auch die Träger auf den Weg machen, um die eigenen Strukturen zu hinterfragen und zu optimieren. Hierfür setzt sich der DEVAP auch mit seinem Strategiepapier ein.

 

Die nächste digitale Veranstaltung zum Thema Personalbemessung mit Thomas Kalwitzki finden am 02.05.2022 mit Fokus auf die Region Hamburg statt. Näher Informationen finden Sie hier.