Deutscher Evangelischer Verband
für Altenarbeit und Pflege e.V.

5. Diakonisches Kamingespräch „Assistierter Suizid im Kontext Diakonischer Einrichtungen“ mit DEVAP-Beteiligung

Am 07.06.2021 fand das 5. Diakonische Kamingespräch der Veranstaltungsreihe: Selbstbestimmung und Lebensschutz: Ambivalenzen im Umgang mit Assistiertem Suizid statt. Dr. Bodo de Vries war als Referent und Diskussionspartner geladen; Wilfried Wesemann hat den Abend moderiert.

Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020 zu § 217 StGB „Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Beihilfe zum Suizid“ verpflichtet den Gesetzgeber zu Gesetzesänderungen, die die Suizid-Assistenz grundsätzlich erlauben.

Bei der Diskussion zum Thema „Assistierter Suizid im Kontext diakonischer Einrichtungen“ ging es darum, dass sich diakonische Einrichtungen mit dem Wunsch nach Suizid-Assistenz auseinandersetzen müssen, unabhängig von der genauen Ausgestaltung der straf- und berufsrechtlichen Vorschriften.

Diskutiert haben Annegret Puttkammer, Pfarrerin, Theologischer Vorstand des Neukirchener Erziehungsvereins; Dr. Bodo de Vries, Geschäftsführer der Evangelischen Johanneswerk gGmbH und Vorstand des DEVAP und Ulrich Lilie, Pfarrer, Präsident der Diakonie Deutschland und stellvertretender Vorstandsvorsitzender des Evangelischen Werks für Diakonie und Entwicklung. Wilfried Wesemann, Vorstandsvorsitzender des DEVAP, hat den Abend moderiert.

Im Impulsvortrag führte Dr. de Vries aus, dass es laut Gesundheitsberichtserstattung des Bundes im Jahr 2019 insgesamt 9.041 Suizide gab; wobei mit höherem Lebensalter auch die Suizidrate steigt. Im Vergleich dazu gab es 3.059 Verkehrsunfälle im Jahr 2019. Im Verlauf ist die absolute Zahl der Suizide seit 1980 deutlich rückläufig. Dr. de Vries geht jedoch von einer großen Dunkelziffer bzw. Falschdeutung von Todesursachen aus. Er erläutert seine fünf Thesen zum Thema:

  1. Der Suizid wird seit vielen Jahrhunderten als Handlungsoption einer lebensverneinenden Haltung und Positionierung thematisiert. Er ist Gegenstand von philosophischen, theologischen, psychologischen und medizinisch-psychiatrischen Deutungen.
  2. Die in den Gesetzesentwürfen und dem Diskussionsentwurf des BMG dargestellten Überlegungen zum assistierten Suizid, deuten die Selbsttötung als einen besonderen Bilanz-Suizid, der mit ergänzenden (medizinischen) Indikationen oder dem Testat des freien Willen eine aktive Suizidassistenz legitimiert.
  3. Die Anzahl der Suizide älterer Menschen wird zukünftig steigen und damit auch die Strukturen der diakonischen Altenhilfe häufiger tangieren, ohne dass damit zwangsläufig die Suizidraten selbst ansteigen werden.
  4. Das Phänomen der Suizidalität stellt sich möglicherweise als individuellste Handlung eines Menschen dar, lässt jedoch auch auf überindividuelle Motivationsgrundlagen schließen.
  5. Die Suizidprophylaxe lebensverneinender Haltungen älterer Menschen muss an den Rahmenbedingungen und Lebenswelten älterer Menschen und der in der Menschheitsgeschichte einmaligen und neuen Lebensphase Alter ansetzen.

In der Diskussionsrunde betonte Ulrich Lilie, dass es vor allem um eine Rollenklärung geht: „Wir brauchen eine Kultur der Wertschätzung.“ Diakonische Träger müssen zum Thema Kompetenzen aufbauen, um Menschen mit suizidalem Verhalten offen begegnen zu können. Die aktive Unterstützung des assistierten Suizides wird grundsätzlich von Seiten der Diakonie ausgeschlossen. Die Freiheit zur Entscheidung, ob assistierter Suizid bei den einzelnen diakonischen Trägern möglich ist, muss in diesem Zusammenhang auf Bundesebene geschützt werden. Zudem ist eine gesetzliche Regelung zur Suizidprävention und Refinanzierung dieses Angebotes zwingend parallel zu den Gesetzesentwürfen zu entwickeln, so Lilie weiter.

Annegret Puttkammer führt aus, dass sich der Neukirchener Erziehungsvereins klar gegen den assistieren Suizid in den Einrichtungen ausgesprochen hat. Die Mitarbeiter wünschen sich einen suizidfreien Träger; hierfür sollte sich auch der Dachverband auf Bundesebene einsetzen. Das Bundesverfassungsgericht hat klar gesagt, dass das Recht auf assistierten Suizid besteht, aber auch, dass dies nicht angeboten werden muss (Selbstbestimmungsrecht).

Dem Träger bleibt wenig Handlungsspielraum, so Dr. de Vries hierzu. Da der Bewohner Hausrecht im Zimmer einer stationären Einrichtung hat, kann der Träger sich nicht dagegen sperren, wenn der Bewohner hier einen assistierten Suizid wünscht und eine unterstützende Person findet. Wichtig wären klare Definitionen, z.B. zur Einordnung von Demenz, in den Gesetzesentwürfen.

Kern allen diakonischen Handelns muss sein, die Menschen nicht allein zu lassen und zu begleiten – auch im Hinblick auf das Thema assistierter Suizid, so Hr. Wesemann zur Diskussion.

Fr. Puttkammer bittet im Fazit darum, nicht nur ältere Menschen bei der Diskussion in den Blick zu nehmen und sich als Diakonie gemeinschaftlich zum Thema zu positionieren. Es werden neue Strukturen für den assistierten Suizid gebraucht; in den bestehenden ist dies kaum abbildbar, so Dr. de Vries. Hr. Lilie wünscht sich eine Gesellschaft, in der die Selbstbestimmung bestmöglich gewahrt wird; auch am Ende des Lebens. Die Diskussion um den Umgang mit dem assistierten Suizid muss deshalb innerhalb der Diakonie weitergeführt und ein differenziertes Meinungsbild gefunden werden. 

 

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